Meine Blog-Liste

Seiten

Samstag, 29. Mai 2010

Disco 3000




Der Junge findet in der verlassenen Villa eine Kiste mit einem Buch und einer Schallplatte und rennt damit nach Hause. Auf der Schallplatte stehen die mystischen Worte: Sun Ra und Disco 3000 und er legt sie auf. Während die Musik unauffällig, schräg und schief aus kaputten Instrumenten tönend ihren Anfang nimmt, öffnet er das schwarze Buch. Großformatige Fotografien. Der Kosmos. Eine Galaxie mit vielen Sternen, Monde werfen ihre Schatten auf Gasriesen, Metallfarbenes, roter Sand. Dann ägyptische Gottheiten, Inkapyramiden, Aztekenskulpturen. Dann Schwarze, in New York, 1950? 1970? Mit Saxophonen, mit Synthesizern, die tausende bunt leuchtende Knöpfe zieren, mit Masken, in Kostümen, in verrauchten Clubs. Nichts passt zusammen und doch passt alles zu dieser immer intensiver werdenden Musik. Ein Bild entsteht im Kopf des Jungen, innerhalb dieser wenigen Minuten, von einer Welt, die tausendmal größer und Millionen Jahre älter ist, als er bisher angenommen hatte. Diese Dinge konnte er sich nicht einmal vorstellen, noch hat er jemals von etwas Ähnlichem gehört. Er weiß diese Rätsel werden ihn bis an sein Lebensende beschäftigen und seine Vorfreude auf das was noch dazukommen mag ist kaum zu beschreiben.

Ein Erstkontakt mit Sun Ra ist tatsächlich wie die unheimliche Begegnung der dritten Art, das hat er geschafft. Das er wirklich vom Planeten Saturn kommt hat ihm dann doch keiner abgekauft. Das ganze unverständliche pseudo-religiöse, astrologisch-mythische Konzept verstehen zu wollen ist vollkommen unnötig, die ganze Sache so ernst zu nehmen schadet dem phantastischen Konstrukt dieses Jules-Vernes der Imagepflege, Gesamtkunstwerk und Pionier als Erfinder eines Bühnen-Alter Ego, bei dem man nicht genau weiß ob Sun Ra (geboren als Herman Blount) nicht glaubt er sei es wirklich.

Disco 3000 ist der Mitschnitt eines Konzerts in Italien, in Mailand, 1978. Sun Ra spielt Piano, Moog-Synthesizer und ein seltenes Crumar Mainman-Keyboard, John Gilmore quält sein Tenor-Saxophon, Michael Ray bläst Trompete und Luqma Ali wirbelt unnachgiebig die drums. Weitere Informationen würden das Bild zwar immer mehr mit assoziationsanregenden Details anreichern, für die Rezeption dieser Platte braucht man aber eigentlich nur Zeit (es handelt sich um ein Doppelalbum) und einen abgeschotteten Raum - damit niemand mit „Was zur Hölle...?“ das Verlassen dieses schnöden Planeten stört, denn das ist das Geschenk dises Albums: Nicht weniger als die Auflösung von Raum, Zeit und jeglicher Logik.