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Montag, 4. Januar 2016

Kapitel 1000



"Was mich interessieren würde..." sagte ich "... ist wie sich eure Musik anhört. Immerhin sind über 1000 Jahre vergangen seit meiner Zeit". Tepoolo blinzelte auf eine merkwürdige Art, womit er offensichtlich das Abspielen der Musik auslöste. Obwohl Musik nach meinen Hörgewohnheiten etwas völlig anderes war. Aus dem Raum, uneinordenbar aus welcher Entfernung, vernahm ich ein hochfrequntes staccatoartiges Piepsen. Für mich weder Rhythmus noch Ton erkennbar. Nach einer halben Minute ohne ersichtliche Änderung des Geräuschs, sagte ich: "Das scheint mir sehr speziell, kannst du mir etwas aus der populären Musik von heute zeigen?". "Ahh, ok." meinte Tepoolo "nicht gerne, aber ich mach's. Ich finde das Zeug nämlich schrecklich". Er blinzelte erneut. Mhhh. Was ich hörte, war für mich genau das selbe hochfrequente, staccatoartige Piepsen. Tepoolo schüttelte den Kopf.

Der Calder lenkte auf eine einige Meter tiefere Ebene und das Licht wechselte von gelblich-grün auf rot. 

"In meiner Zeit" begann ich "waren Zukunftsvisionen oft mit einer Form von totalitärem Staatssystem oder einer Herrschaft der Maschinen und Computer verbunden. Wie kommt es, dass ihr nichts davon habt - überhaupt keine Form von Regierung? Was hält die bürgerliche Ordnung aufrecht?". Tepoolo schaute mich verdutzt an. "Ich weiß es nicht. Es läuft alles wie's läuft. Diese Begriffe kenne ich aus meiner Geschichts-Introduktion, aber ich kann wirklich nicht viel damit anfangen. Wir haben gelernt, dass es damals Regierungen und Gesetze gab, aber ich kann mich nicht erinnern wozu." "Na ja,  z.B. um die individuellen Rechte zu schützen, nicht zuletzt die körperliche Unversehrtheit. Wie verhindert ihr Diebstahl, Gewalt und Mord, wenn es keine überwachenden Organe wie Polizei gibt?" "Das gibt's einfach alles nicht, es macht keiner. Es besteht kein Grund". 

Das gab mir zu Denken. Ist es möglich, dass es keinen Grund gibt jemand anderen zu beneiden, Groll gegen jemanden zu hegen. Sind alle Menschen und diese anderen denkenden Geschöpfe, die es hier gibt ständig zufrieden? 

"Von was handeln eure Filme und Romane, wenn es keinen Mord oder besser, keine Konflikte gibt?""Von Sehnsucht, unbestimmter Sehnsucht. Das ist seit ca. 400 Jahren das große Thema der Menschheit. Alle Institute, sämtliche Forschungsarbeit beschäftigt sich damit. Wir wollen Etwas, wissen aber nicht Was, und wir leiden darunter."

Aha. Zufrieden sind die Menschen offensichtlich in allen Dingen, die in meiner Zeit an der Tagesordnung waren: Gesundheit, Besitz, Komfort, Versorgung mit Nahrung, Wärme, Unterhaltung, Wissen, sogar Berühmtheit, wie ich mitbekommen habe. Jeder hier hat eine eigene Fangemeinde, die alle kreativen Erzeugnisse begutachtet und auswertet. Vom Witz der einem beim Schuhe anziehen einfällt, über Malerei und kleine Musikstücke (jetzt weiß ich leider wie diese sich anhören) bis zum großen Roman, den man über Jahre schreibt, wird alles gelesen, gehört, gesehen, ja sogar genossen. Denn da es keine Arbeit in unserm Verständnis mehr gibt, teilt sich das Leben in Rezeption, Forschung, kreatives Schaffen, partnerschaftliche Liebe und Zeit mit den Kindern auf. Einzig eine Sehnsucht bleibt. Wer hätte das gedacht.

"Damals prügelte man sich oft nach dem Genuss von Alkohol. Wie habt ihr das in den Griff bekommen?" "Oh, wir prügeln uns nach dem Genuss von Alkohol" "Und da geht nicht mal einer drauf?" "Nichts, was sich nicht im Hospitalkompier wieder hinbiegen lässt..."

"Was ist mit Macht über andere? Es kann nicht sein, dass niemand über einen Anderen bestimmen will, das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wenn einer was will und der andere nicht, z.B. im Fernsehen..." "Dann spielen wir Schnick, Schnack, Schnuck... Aber zur Macht, es gibt Leute, die mögen es, wenn jemand anders für sie entscheidet. Die suchen sich dann jemand Dominanten, da gibts Vermittlungsbörsen."
Unglaublich wie einfach das geht. Schon jetzt gefiel mir was an der Sache nicht. Ich hatte Lust den Calder in eins der Gebäude zu steuern, einfach so aus Fetz. Mal schauen was passiert. Eine Art Wunsch nach Sabotage packte mich. 

"Zeig mir was Großartiges!" sagte ich. Tepoolo grinste. "Na dann pass mal auf!". Wir bogen in eine strudelartige Auffahrt. Das Licht wechselte auf pink.

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